Verwundetes Israel – Das Erbe des 7. Oktober (Teil 1)

Von Brigitte B. Nussbächer

Zerstörung und Tod entlang der Grenze zu Gaza – Begegnungen mit Betroffenen

Mit Ralph in Kfar Azza. Foto privat

Als wir im April 2024, trotz Reisewarnungen der deutschen Regierung und trotz Rachedrohungen des Irans, nach Israel fliegen, tun wir das mit dem Ziel, uns mit Israel eins zu machen, Zeitzeugen zu sein, anzupacken und zu unterstützen, wo wir können. Wie wir dabei Israel und auch den iranischen Angriff erlebten, habe ich im  Artikel „Verwundetes Israel – Das Spannungsfeld“ (Teil 1&2) beschrieben.

Entgegen allen Warnungen

Die wichtigsten und berührendsten Erfahrungen von unserer Israelreise im April 2024 sind jedoch die Begegnungen mit den Menschen, die das Gemetzel am 7. Oktober miterlebten. Wir fahren zu ihnen in den Kibbuzim, wo sie früher zu Hause waren und in denen die Terroristen wüteten. Ausgerechnet in den 36 Stunden vor dem iranischen Angriff, in denen jeder in der Nähe seines Bunkers bleiben sollte, sind wir deswegen unterwegs. Aber die betroffenen Familien wollen uns trotzdem treffen und so sind wir unterwegs von Jerusalem in den Süden, entgegen aller Warnungen, ein Weg von rund 2 Stunden. Die Liebe ist stärker.

Während wir uns unserem Ziel nähern, wird die Straße immer rauer – man spürt, dass hier schweres Gerät gefahren ist. Wir kommen sehr dicht an den Gazastreifen heran. So nahe, dass wir sehen können, wieviel eigentlich davon noch intakt ist, was man nach den Bildern, die in den Main Stream Medien gezeigt werden, nicht vermutet hätte.

Die Toten vom Nova Festival

Wir erreichen die Stelle, wo das alternative Super Nova Open Air Festival stattfand. Wir sind nicht vorbereitet auf das, was wir auf diesem Gelände vorfinden und erleben. Hier ist man so nahe an der Grenze zu Gaza, dass einem nur 15 SEKUNDEN bleiben, um sich bei Raketenalarm in Sicherheit zu bringen. An dieser Stelle tanzten rund 4000 Teilnehmer und feierten Freundschaft, Liebe und Freiheit. Sie tanzten auf einem Vulkan.

Nur 15 Sekunden hat man zur Verfügung, um den Bunker zu erreichen. Foto privat

Fast ein Zehntel von ihnen (364) wurden abgeschlachtet, Frauen brutalst vergewaltigt, verstümmelt, verbrannt; rund vierzig entführt und viele weitere verletzt. Die Sicherheitskräfte waren in der Unterzahl und konnten die Hamas Terroristen nicht abwehren, die mit Pick-ups, Motorrädern, Quads und motorisierten Gleitschirmen in das Gelände eindrangen. Die Luftschutzbunker wurden zu Todesfallen, in denen sich die Leichen türmten.

Heute wirkt das ganze Gelände wie ein riesiger Friedhof mit Bildern von Ermordeten und Entführten, Blumen, Fahnen, bei manchen stehen auch Geschichten dazu. Die schiere Anzahl ist überwältigend. Es dauert lange bis das Gehirn begreift, dass alle diese Menschen getötet wurden.

Es ist nicht zu fassen, wie viele Menschen am Nova Festival von der Hamas ermordet wurden. Foto privat

Sieben Monate sind vergangen und doch wirkt alles so frisch, als wäre es gestern geschehen. Als wären die Gräber noch offen, als würden die Toten immer noch um Hilfe rufen. Und die bis heute nicht befreiten Geiseln! Eine klaffende, offene Wunde, die nach wie vor unerträglich schmerzt.

Etwas weiter weg sind für die Gefallenen Bäume gepflanzt worden – eine Hoffnungsgeste, die für die Resilienz der Israelis steht.


Erläuterungen des IDF Sprechers Arye Shalicar

Auf dem Nova Gelände treffen wir auch den deutschsprachigen Armeesprecher, Major Arye Sharuz Shalicar, der einer Gruppe erläutert, was es für die israelische Armee bedeutet, ihre Angriffe in Gaza mit Millionen von SMS und Sprachnachrichten anzukündigen, um zivile Opfer zu vermeiden. Er erklärt auch, was für Verluste und Rückschläge für die Israelis dieses Vorgehen mit sich bringt, weil Terroristen als Zivilisten getarnt entkommen und die Geiseln immer wieder an andere Orte verschleppt werden.

Er vergleicht die aktuelle Situation mit dem Kampf gegen den Islamischen Staat 2014 als sich rund 4.500 Terroristen in Mossul verschanzten und wo die irakische Armee mit Luftunterstützung der USA ein Jahr brauchte, um sie niederzuringen und wie von Israel, dass einer viel höheren Anzahl von Terroristen auf einem deutlich größeren Raum gegenübersteht, nach 6 Monaten ein Waffenstillstand verlangt wird – und zeigt die doppelte Moral auf. 

Er spricht auch über die Enttäuschung, die in Israel darüber herrscht, dass die Welt nicht von der Hamas die Freilassung der Geiseln fordert und nicht versteht, dass mit „from the river to the sea, Palestine will be free“ ein palästinensischer Staat statt eines israelischen gefordert wird und keine Zwei-Staaten-Lösung.

Persönliches Treffen und Podcast Interview mit Arye Shalicar

Zu einem späteren Zeitpunkt unserer Reise treffen wir Arye noch einmal privat und nehmen mit ihm zusammen ein Interview als Sonderfolge seines Podcastes auf (den wir regelmäßig verfolgen und in dem er sehr wertvolle und wichtige Informationen zum aktuellen Geschehen teilt).

Der besondere Empfänger unseres Briefes

Und dann kommt die Begegnung, die für uns völlig überraschend ist. Harald hat zu Hause Psalm 23 als Gebet für die Soldaten formuliert und wir haben daraus einen Brief gestaltet, mit dem wir unsere Freundschaft und Solidarität ausdrücken. Diesen Brief haben wir vervielfältigt und mitgebracht um ihn – neben Spenden und praktischer Hilfe – zu übergeben. Das Nova Gelände wird auch Militäreinheiten gezeigt und Harald geht auf Offiziere und Soldaten zu, um Kopien davon zu verteilen.


Und so machen wir die Bekanntschaft von Chaim Otmazgin. Er dient seit über 30 Jahren bei der Organisation, die in Israel dafür zuständig ist, Hilfe zu leisten und Leichen(teile) einzusammeln: Zaka. Sie sind die ersten, die am Unfallort ankommen, und die letzten, die ihn verlassen, nachdem sie wörtlich die Hautfetzen von den Hauswänden gekratzt haben. Chaim ist Major der Reserve und Kommandeur der Zaka Spezialeinheiten. Er war am Abend des 7. Oktober dafür zuständig, mit anderen Reservisten die unzähligen Leichen auf diesem Gelände zu bergen.

Er hat Bilder davon gemacht, Bilder, die als „streng geheim“ gelten und nur hochrangigen Politikern gezeigt wurden und jetzt eben den Militäreinheiten, damit sie verstehen, was hier wirklich geschehen ist. Bilder, die die furchtbaren Gräueltaten unwiderlegbar beweisen. Wir kommen ins Gespräch und unsere Geschichte beeindruckt ihn so, dass er uns von seinem Einsatz erzählt und uns diese Aufnahmen auch zeigen möchte, damit wir darüber berichten.

Die Gräueltaten der Hamas

Seine Stimme ist leise und beherrscht, während er spricht und erzählt, was sie vorfanden – aber der Ausdruck seiner Augen ist unbeschreiblich. Die Trauer und die Qual darin will Raum finden. Es ist, als würde man seine zerissene Seele sehen. Er hat jahrzehntelange Erfahrung mit  Mord-, Unfall- und Katastrophentatorten und kann aus der Art und Weise, wie Leichen gefunden werden, oft die Geschichte dahinter zusammensetzen; erkennt Schändung und Demütigung. Und er meint: was sie in jenen Tagen vorfanden, das kann der Verstand nicht aufnehmen. Auch jetzt rasen die Bilder noch durch seine Gedanken, und er kann nicht glauben, was er gesehen hat. Er sagt: töten war das Mindeste, was man den Menschen angetan hat. Die wenigsten wurden „nur“ ermordet. Die meisten Körper wiesen zusätzliche Zeichen von Gewalt, Schändung, Folter und Verstümmelung oder Verbrennungen auf.

Er erzählt davon, dass er während der Suche in den Trümmern und der Asche immer wieder den Eindruck hatte, dass die Seelen der Opfer nach ihm und seinen Helfern riefen, um gefunden zu werden. Wie die Ruinen der Häuser auf ihre Besitzer warten, die niemals wieder kommen. Er schildert, wie sie zuerst hunderte von Leichen geborgen haben und dann anfingen Körperteile, verbrannte Menschenreste und Knochensplitter zu sammeln, um die Opfer zu identifizieren. Er und sein Team haben wochenlang schier ohne Unterbrechung gearbeitet. Sie hatten keine Zeit zum Fühlen und waren zu erstarrt zum Weinen. So haben sie, mit ihrem Team, 800 – 900 Leichen geborgen.

Die Gräueltaten der Hamas haben nicht nur die tatsächlichen Opfer gepeinigt – sie foltern auch jetzt noch jeden, der damit in Berührung kommt. Es ist kaum möglich, diesen Blick zu ertragen. Ich sehe ihn auch jetzt noch vor mir.

Dann zeigt Chaim uns, was er am 7. Oktober vorgefunden hat. In der ersten Zeit nach dem Massaker wollte er nicht über seine Arbeit sprechen. Aber als er dann merkte, dass die Welt die Verbrechen der Hamas in Frage stellte, begann er in der Öffentlichkeit darüber zu berichten, was er gesehen und erlebt hat und Beweise vorzulegen. Seine Eindrücke sind unter anderem auf der Seite https://info710.com/october7/what-happened-on-the-7th-of-october/ zu finden. Hier ist ein Video, auf dem er spricht: https://www.youtube.com/watch?v=d84FMJItajM.

Anders als viele im Westen, haben wir zwar bereits viel Material gesehen, aber diese Bilder halten das Schlimmste, das Unaussprechliche fest: die furchtbaren Verstümmelungen, die grausamen Vergewaltigungen, den unmenschlichen sexuellen Mißbrauch, die Leichen, die noch brannten, die abgetrennten Gliedmassen. Es sind Bilder, die nach wie vor nicht zur Veröffentlichung freigegeben sind, um die Familien der Opfer zu schützen, nur was bis zur absoluten Unkenntlichkeit zerstört wurde, darf veröffentlicht werden.


Aber die Eindrücke sind in unsere Seele eingebrannt.

Nach diesen Bildern sitze ich lange mit tränenblinden Augen da. Die Puzzle-Teile rücken zusammen. Das hier ist wie ein neues Yad Vashem, das die Verbrechen gegen die Menschlichkeit festhält und die Toten ehrt. Völlig unfassbar, dass all dies NACH dem Holocaust, in der heutigen Zeit, INNERHALB ISRAELS, an einem einzigen Tag, geschehen konnte! Und völlig unerklärlich, wieso diese Gräueltaten von so vielen schweigend ignoriert werden.

Himmel und Hölle von Kfar Azza

Danach sind wir mit Avishay an der Einfahrt zu Kfar Azza verabredet. Vor dem 7. Oktober haben er und seine Familie hier gelebt. Er ist auch hier geboren. Kfar Azza und Be’eri gehören zu den am meisten zerstörten Kibbuzim.

Mit Avishay vor seinem nach dem Massaker beschädigten Haus. Foto privat

Sein Haus steht noch, aber man sieht überall Einschüsse. Im ehemaligen Wohnzimmer bückt er sich und hebt Patronenhülsen auf. Eine davon gibt er uns mit – ein schmerzliches Andenken. Er zeigt uns seinen Schutzraum, in dem er und seine Familie 24 Stunden lang ausharren mussten, bis endlich die Armee kam, um sie zu befreien – und wie er sich gegen die Tür gestemmt hat, um zu verhindern, dass die Terroristen eindringen. Diese Schutzräume sind alle nicht abschließbar, weil sie ursprünglich nur gegen Raketenbeschuss gedacht waren. Mit einer Invasion, wie sie an diesem Tag stattfand, hat niemand gerechnet. Er hatte nur ein Messer als Waffe – er musste es zum Glück nicht gebrauchen.


Eigentlich wollte er an jenem Freitag zum Nova-Festival gehen und hat sich nur kurzfristig entschlossen, es erst am nächsten Tag zu besuchen. Für diese Bewahrung ist er heute sehr dankbar. Denn auf dem Festival waren die Menschen am exponiertesten, hier wurden die meisten abgeschlachtet und entführt. Und seine Familie wäre alleine gewesen und vielleicht heute nicht mehr am Leben. Er wohnt inzwischen in Herzliya und arbeitet wieder als Gourmet Koch. Seine gesamte Existenz muss er neu aufbauen. Es ist unklar, ob er jemals wieder hier herkommen wird. Denn er kann diesen Tag und die schrecklichen Erinnerungen nicht aus seinen Gedanken verbannen, ebenso wenig wie die Angst vor einer Wiederholung.


Danach zeigt er uns den Rest vom Kibbutz. Man kann noch erahnen, wie schön es hier einst gewesen sein muss zu leben. Blühende Bäume und Blumen zwischen den zerstörten Häusern. Früher war es 23 Stunden lang der Himmel auf Erden und wenn die Raketenangriffe kamen, eine Stunde lang Hölle. Wenn die Sirenen schrillten, hatten die Einwohner auch hier nur noch 15 Sekunden Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Trotzdem waren sie glücklich dort – bis zu dem Tag, an dem sie 23 Stunden lang die Hölle erlebten und erst in der letzten gerettet wurden.

Schutzmaßnahmen im Kibbuz     

Auch Ralph hat mit seinen Kindern und Enkeln in Kfar Azza gewohnt. Seine Familie ist kurz vor dem zweiten Weltkrieg vor den Nazis nach Namibia in Afrika geflohen. Von dort zog er nach Israel. Von ihm bekommen wir ein umfassendes Bild von dem Geschehen. Er ist Reiseleiter – jetzt gibt er Führungen im zerstörten Kibbuz für Politiker. Es ist für uns ein Privileg einen so professionellen Einblick zu erhalten.

Zuerst erklärt er, wie das Leben im Kibbuz funktionierte, den Zusammenhalt; er zeigt uns die Gemeinschaftsräume und … auch die Schutzmaßnahmen. Zu unserer großen Überraschung erfahren wir, dass sowohl der Zaun, der das Kibbuz direkt umgibt, als auch der Grenzzaun in ca. 1,5 km Entfernung nur Signalzäune sind. Sie sind weder elektrisch geladen, noch ist das Niemandsland dazwischen irgendwie gesichert. Wohin die Not-Signale am 7. Oktober gingen und wieso sie kein Gehör fanden, weiß man immer noch nicht. Im Kibbuz selber hat man viel dafür getan, sich gegen die Raketen zu wappnen, die trotz dem Sicherheitssystem „Eiserne Kuppel“ regelmäßig einschlugen.


Der Kindergarten ist „verbunkert“, d.h. mit Stahldach und Stahlbetonwänden umgeben, alle 50 Meter steht ein Bunker, weil man nur Sekunden hat, um sich in Sicherheit zu bringen. Auch Schwimmbad und Fußballplatz sind mit Bunkern ausgestattet. Im Kibbuz gab es ein sogenanntes Sicherheits-Team, 11 Personen. Allerdings hatten sie die Anweisung, ihre Waffen in dem Waffendepot zu lagern und nicht bei sich zu tragen. Das wurde ihnen zum Verhängnis. Die Hamas hatten genaue Pläne des Ortes, erwartete die Sicherheitskräfte vor dem Waffenlager und schoss sie nieder. Danach konnten die Terroristen ungehindert ihr Unwesen treiben und es gab auch niemanden mehr, der mit der Armee hätte Kontakt aufnehmen können: Gründe für den besonderen Zerstörungsgrad des Ortes und dass so lange keine Hilfe von extern kam. Rund 300 Terroristen sprengten den Zaun und drangen in diesen Ort ein. Und nach den Hamas Kämpfern kamen Zivilisten aus Gaza und plünderten, was von Wert war.

Evakuierung in der Nacht

Er zeigt und erklärt uns die Markierungen in verschiedenen Farben an den Häusern (die noch stehen).


Als die Armee nach fast 24 Stunden endlich eintraf, gingen sie systematisch vor. Zuerst sicherten sie die Gebäude, dann evakuierten sie die lebenden Einwohner und schließlich kam das Zaka Team, um die Leichen und die menschlichen Überreste zu bergen und das Blut aufzuwischen. Kfar Azza hat 64 Tote zu beklagen. Es dauerte mehr als drei Wochen, bis schließlich alle Leichen identifiziert werden konnten. 18 Geiseln wurden entführt, von denen auch heute immer noch einige von der Hamas in Tunneln gefangen gehalten werden.

Die Geiseln, die befreit werden konnten, schildern, wie sie sexuell missbraucht wurden, psychologischen Terror und fürchterliche Zustände.

Die Überlebenden wurden in dunkelster Nacht, von Soldaten eskortiert, aus dem Kibbuz weggebracht. Da immer noch heftige Kämpfe stattfanden, musste alles schnell gehen, die Menschen konnten kaum etwas mitnehmen. Sie wurden nach Elad im Süden evakuiert. Die ersten Monate lang lebten sie von und mit den Dingen, die ihnen die israelische Bevölkerung spendete. Ralph ist tief beeindruckt von der Hilfsbereitschaft, die er und seine Familie erlebt haben.

Schicksale von Kfar Azza

Dann beginnt er die einzelnen Geschichten der Familien zu schildern. Er kannte sie alle. Der Kibbuz ist vor rund 50 Jahren gegründet worden, er selber lebt seit 44 Jahren hier. Schicksale von drei Generationen. Ich frage ihn, wie er es erträgt, davon zu sprechen. Er meint, dass er es als seine Aufgabe ansieht, zu schildern, was geschah und in diesen Augenblicken einfach professionell ist und seine Seele verschließt. Seine Augen sind bei diesen Worten von der Sonnenbrille verborgen, sein Gesicht ausdruckslos.

Ralphs Schilderungen zeigen das ganze Ausmaß des Massakers. Foto privat

Da ist der Journalist, der mit seiner 3 Jahre alten Tochter im Arm vor dem Haus stand und die Hamas-Terroristen, die mit Paragleitern kamen, filmte. Er wurde noch aus der Luft erschossen. Seine Tochter rettete sich blutüberströmt zu dem nächsten Haus und versteckte sich zusammen mit der Nachbarin und ihren drei Kindern im Bunker. Sie alle wurden entführt.

Eine Familie hat das Haus ihrer ermordeten Angehörigen zum Besuch frei gegeben. Die Bilder sind erschütternd und belegen das Blutbad, das hier stattfand.


Das Ausmaß der sinnlosen Zerstörung in diesem Ort ist nicht zu fassen.

Das Haus der Familie aus dem diese beiden Babys gerettet wurden. Foto privat / Israel Heute

In diesem Kibbuz spielte sich auch das Drama der jungen Familie ab, deren winzige Zwillingsbabys über 13 Stunden lang alleine blieben, nachdem ihre Eltern ermordet wurden. Das Bild von ihnen ging um die Welt. Der Soldat, der sie rettete, wurde später ebenfalls ermordet. Die Zwillinge aber haben überlebt und wurden adoptiert.

In einem anderen Haus wurden beide Eltern getötet, die Kinder blieben in einem Schrank unentdeckt. Sie riefen ihre Großmutter im Ausland an und zeigten ihr die Leichen am Handy. Die Großmutter blieb mit den Kindern via Telefon in Verbindung und nahm gleichzeitig Kontakt mit einer Sozialarbeiterin auf. Nach mehr als 20 Stunden, die die Geschwister im Raum mit ihren getöteten Eltern verbringen mussten, wurden sie gerettet.

Aus Kfar Azza stammen auch die drei Geiseln, die sich selbst befreien konnten, aber tragischerweise von israelischen Soldaten für Terroristen gehalten und erschossen wurden.

Wie Regentropfen, die unaufhörlich fallen, reiht sich eine erschütternde Geschichte an die nächste. Ich kann kaum noch atmen, der Magen zieht sich mir zusammen. Aber ich zwinge mich, weiter zuzuhören und versuche die Tränen zurückzudrängen. Ich höre diese Schilderungen als Fremde – wie muss es sein, sie als Angehöriger zu hören und erst recht, sie zu erleben! Diese Toten haben ein Recht darauf, dass ihr Schicksal nicht vergessen wird.

Trotz aller Tragik und Trauer möchte Ralph zurück kommen. Er will sich dem Terrorismus nicht beugen. Aber seine Frau kann es sich nicht mehr vorstellen, jemals wieder hier zu leben.

Während Ralph spricht, hört man die ganze Zeit Maschinengewehrfeuer. Über uns das Surren der Drohnen, das Dröhnen der Kampfflugzeuge, immer wieder fallen auch Bomben. Ich hätte bis vor kurzem nie gedacht, solche Geräusche live aus einem Kilometer Entfernung zu hören. Der Krieg ist ganz nahe.

Die Bilder der Zerstörung von Kfar Azza werden immer in unserer Erinnerung bleiben. Eine Hölle  für alle, die es erlebt haben und ein lebendig gewordener Albtraum für die, die sich – so wie wir – damit auseinander setzen. Doch in all dem Leid gibt es auch Geschichten von unglaublicher menschlicher Größe und Bewahrung am 7. Oktober.

Lesen Sie weiter in: „Verwundetes Israel – Das Erbe des 7. Oktober“ – Teil 2

Weitere Artikel von Brigitte B. Nussbächer unter:  www.arc-to-israel.org/artikel